Extremismus und Gewalt – Urteil im Fall Lina E. verschickt – so geht es nun weiter

Nach dem Urteilsspruch vom Mai dieses Jahres muss sich Lina E. regelmäßig bei der Leipziger Polizei melden, andere aus ihrem Umfeld sind längst untergetaucht. Die Prozessbeteiligten bekamen dieser Tage Post.

Als im Mai am Oberlandesgericht Dresden die Urteile gegen eine linksextreme Bande aus Leipzig gesprochen wurden, war einer der mutmaßlichen Rädelsführer nicht dabei: Johann G., ein 30 Jahre alter Mann, der unter anderem schon wegen Landfriedensbruchs im Gefängnis saß und den die Sicherheitsbehörden als linksextremen Gefährder bezeichnen. Seit Sommer 2020 ist er untergetaucht, inzwischen wird öffentlich nach ihm gesucht, etwa auf Plakaten an Bahnhöfen. Rund 30 Hinweise sind beim Landeskriminalamt Sachsen dazu eingegangen. Gefunden wurde Guntermann bislang nicht.

G., geboren in Halle, aufgewachsen in Leipzig und Bayern, ist nicht der einzige untergetauchte Linksextremist aus Deutschland. Rund 20 sollen es Medienberichten zufolge sein. Einige stammen aus Thüringen, mehrere haben zuletzt in Leipzig gelebt. Die Polizei und auch der sächsische Innenminister warnen davor, dass sich die Gruppe im Untergrund weiter radikalisieren könnte. Andere haben Zweifel an diesem Szenario.

„Es bleiben schwere Straftaten“

Kurzer Rückblick: Die öffentliche Ausleuchtung der gewaltbereiten linksextremen Szene beginnt im November 2020 mit einem Hubschrauberflug. Lina E., damals 25 Jahre alt und Studentin, landet vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, kommt in Untersuchungshaft. Zusammen mit anderen soll sie verantwortlich sein für sechs Angriffe auf vermeintliche und tatsächliche Neonazis in Sachsen und Thüringen.

 Im Mai wird Lina E. dafür zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, drei Männer aus Berlin und Leipzig bekommen ebenfalls Haftstrafen. Es sei ein „achtenswertes Motiv“, Rechtsextremisten entgegenzutreten, so das Gericht. „Allerdings macht das Gewalttaten nicht zu Bagatellen – es bleiben schwere Straftaten.“

Lina E. regelmäßig bei der Polizei

Die Anwälte von Lina E. sprachen damals von einem „eklatanten Fehlurteil“ und legten ebenso wie der zuständige Generalbundesanwalt Revision ein. Bis der Bundesgerichtshof darüber entscheidet, wird voraussichtlich noch weit mehr als ein halbes Jahr vergehen. In dieser Woche ist das schriftliche Urteil vom Oberlandesgericht an die Verfahrensbeteiligten verschickt worden. Jetzt läuft die gesetzliche Frist, in der die Anwälte und die Anklagebehörde ihre unmittelbar nach dem Urteil eingelegte Revision begründen können – in diesem Fall sind das zwei Monate. Die Anwälte von Lina E. werden die Revision ihren Aussagen nach begründen und damit aufrechterhalten. Der Generalbundesanwalt will sein Vorgehen noch prüfen, hieß es auf Anfrage.

Ihre Reststrafe muss Lina E. – sie saß bereits mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft – erst antreten, sollte das Urteil rechtskräftig werden. Derzeit muss E. sich regelmäßig bei der Polizei melden. Nach Auskunft der Leipziger Beamten tut sie das.

Vermummte verletzten erneut acht Menschen – während dem Prozess gegen Lina E.

Noch während der Prozess gegen Lina E. lief, gab es weitere Attacken gegen Rechtsextreme, die nach einem ganz ähnlichen Muster abliefen wie die, die in Dresden verhandelt wurden. Schauplatz dafür war die ungarische Hauptstadt Budapest im Februar dieses Jahres. Beim sogenannten „Tag der Ehre“, einem Wehrmachts-Verherrlichungsevent europäischer Neonazis, wurden acht Menschen von Vermummten angegriffen und mit Schlagstöcken, Gummihämmern und Reizgas teilweise schwer verletzt.

Nach den Angriffen wurden vier mutmaßliche Linksextremisten festgenommen – darunter auch ein Mann, der den Budapester Fall mit dem Komplex Lina E. verbindet. Es ist der Berliner Tobias E. Er wurde schon Ende 2019 nach einer Attacke auf einen rechtsextremen Kneipenwirt in Eisenach vorläufig festgenommen – zusammen mit Lina E. Auf den Überwachungsbildern aus der ungarischen Hauptstadt entdeckten sächsische Ermittler später auch Johann Guntermann. Nach ihm und zwölf weiteren Verdächtigen sucht die ungarische Polizei derzeit mit internationalem Haftbefehl. Die Mehrzahl der Verdächtigen stammt aus Deutschland, mehrere haben zuletzt in Leipzig gelebt und alle gelten als untergetaucht. Auch deutsche Behörden ermitteln in der Sache. Kürzlich vermeldeten sie die Festnahme eines Mannes aus Thüringen. Die ungarischen Behörden haben eigenen Angaben nach seine Auslieferung beantragt.

„Leben in der Illegalität ist mühsam, teuer und gefährlich“

Die Taten von Budapest sind, wenn man so will, ein Beleg für die Warnung der Sicherheitsbehörden, dass sich die Linksextremisten aus dem erweiterten Umfeld von Lina E. weiter radikalisieren könnten. Robert Wolff glaubt trotzdem nicht, dass die als untergetaucht geltenden Linksextremisten künftig immer brutalere Attacken gegen politische Gegner verüben könnten.

Wolff ist Historiker an der Goethe-Universität Frankfurt/Main und beschäftigt sich mit der Geschichte von linkem Extremismus und Terror in Deutschland, unter anderem mit der RAF. „Das Leben in der Illegalität ist mühsam, teuer und gefährlich“, sagt Wolff. In den Untergrund zu gehen sei „einer der letzten Schritte, um potenziellen Haftstrafen zu entgehen“. Viele Linksextremisten, die in der Historie in den Untergrund gegangen seien, hätten mehr als genug damit zu tun gehabt, nicht aufzufliegen. Die RAF, die dagegen weiter agiert habe, sei eine Ausnahme gewesen. „Die meisten Menschen, die aus verschiedenen linksradikalen Spektren, aber nicht aus der RAF, in den Untergrund gegangen sind, sind nicht mehr straffällig geworden.“